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Beitrag vom 22.02.2023
Jin, Jiyan, Azadî. Der Freiheitskampf der Frauen im Iran
Tara Mortazavi
Im Iran hat sich seit September 2022 eine Revolution für Menschenrechte und gegen faschistische Regime, auch in Afghanistan und Kurdistan, entwickelt. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, geht dieser Kampf u.a. in Berlin weiter. Denn diese Revolution ist ein feministischer Kampf gegen patriarchale Strukturen und für die Freiheit, allen voran der Frauen.
"Jin, Jiyan, Azadî". Dieser Slogan ist spätestens seit dem 16. September 2022 weltweit bekannt. An diesem Tag starb die iranische Kurdin Jina Mahsa Amini in Teheran. Weil sie ihr Kopftuch nicht gemäß der dogmatischen Kleiderordnung der islamischen Regierung trug, wurde sie drei Tage zuvor von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen. Diese setzt die Vorschriften und Regeln der Scharia, des islamischen Staatsrechts, strikt und aggressiv um.
Jina Aminis Tod – Eine Genese
Nach ihrer Verhaftung fiel Jina noch auf dem Polizeirevier in ein Koma und starb kurz darauf im Krankenhaus. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt, jedoch berichteten Augenzeug*innen, dass Amini auf dem Revier geschlagen wurde und zusammengebrochen sei. Nach Jinas Tod kommt es im ganzen Land zu öffentlichen Protesten. Die Menschen demonstrieren auf der Straße, in Schulen und in Universitäten. Dabei geht es ihnen nicht nur um den Hijab-Zwang, sondern um die Repressionen des Regimes und die Menschenrechte aller Iraner*innen, Afghan*innen und Kurd*innen.
Der Slogan "Jin, Jiyan, Azadî" stammt aus der kurdischen Freiheitsbewegung. Er wird seit Juli 2012 von kurdischen Frauen im Kampf für ihre Freiheit gerufen und ist nun auch im Iran zu einem Synonym für den Kampf für die Freiheit geworden. Dies hebt hervor, dass sich die Revolution gegen alle unterdrückenden Regime richtet und ein Ende des Patriarchats fordert. Gleichzeitig macht er die Unterdrückung und Verfolgung von Kurd*innen im Iran sichtbar und hörbar: Viele kurdische Namen sind verboten, was weiter zur Unsichtbarkeit und politischen Unterdrückung von Kurd*innen im Iran beiträgt. Die meisten Kurd*innen haben offiziell einen iranischen "Passnamen", verwenden im Alltag aber ihren tatsächlichen kurdischen Namen. So auch Jina Amini. Ihr iranischer Passname war Mahsa, welchen sie aber nie benutzte. Kurdische Regionen im Iran sind absichtlich ökonomisch unterentwickelt. Die iranische Regierung finanziert keinen Ausbau der Infrastruktur, sodass die Lebensbedingungen meist sehr schlecht sind.
Die Brutalität des iranischen Regimes
Auch heute, fünf Monate nach Jinas Tod, haben die Proteste trotz aller Repressalien und drohender wie vollzogener Hinrichtungen nicht nachgelassen. Vielmehr haben sie sich zu einer Revolution entwickelt, die vor allem von den Frauen getragen wird. Die Menschen im Iran demonstrieren seit Monaten gegen das islamische Regime und riskieren dabei ihr Leben. Denn Regimekräfte schießen bei Demos in die Menschenmengen, setzen Tränengas und Wasserwerfer ein. Demonstrierende werden verhaftet, im Gefängnis misshandelt und zur Todesstrafe verurteilt. Mindestens 22 Menschen droht derzeit ein Todesurteil. Seit Dezember 2022 wurden mindestens vier Männer hingerichtet. Wie viele Menschen bis heute ermordet wurden, ist nicht bekannt, die Dunkelziffern sind enorm hoch. Zudem verbreitet das Regime fortlaufend Falschinformationen in den Medien, um dieses brutale Vorgehen zu verschleiern. Auch viele junge Mädchen werden bei Protesten von Regimekräften verschleppt und verschwinden. Eine Jungfrau zu töten, ist im Islam eine Sünde, weswegen viele der Mädchen nach ihrer Festnahme zuerst vergewaltigt und dann ermordet werden. Erst Tage später werden ihre misshandelten Leichen gefunden. Manche tauchen nie wieder auf.
Frauen im Iran kämpfen bereits seit 44 Jahren gegen die misogynen Gesetze
Frauen kämpfen, seit der Machtübernahme der Mullahs 1979, für ihre Rechte und Freiheit. Damals wurde die Scharia eingeführt. Demnach müssen Frauen ihre Haare in der Öffentlichkeit bedecken, dürfen keine enge Kleidung tragen, nicht Fahrrad fahren und dürfen ab dem Alter von 13 Jahren verheiratet werden. Das sind nur einige wenige Beispiele der frauenfeindlichen Gesetze, die im Iran herrschen, und auf die Frauenrechtsorganisationen seit vielen Jahren aufmerksam machen. Auch die Journalistin Nasrin Amirsedghi kritisierte sie bereits 2008 in ihrer auf AVIVA-Berlin veröffentlichten Rede "Die Stellung der Frau im Gottesstaat".
Das öffentliche Ablegen des Kopftuchs ist spätestens seit der Kampagne My Stealthy Freedom, bei der Bilder von Frauen im Iran ohne Kopftuch gepostet wurden, eine Protestaktion. Sie wurde 2014 von der iranischen Journalistin Masih Alinejad, die seitdem im Exil in den USA lebt, ins Leben gerufen. 2017 startete sie die Aktion White Wednesday, bei der Iraner*innen jeden Mittwoch entweder ein weißes Kopftuch trugen oder dieses komplett ablegten. Im Zuge dieser Aktionen wurden viele Frauen festgenommen, misshandelt und zu langen Haftstrafen verurteilt. Dennoch bleibt Alinejad optimistisch und ist fest davon überzeugt: "The Iranian regime will be brought down by women."
EU-Sanktionen gegen den Iran
Die EU verhängte seit Beginn der Proteste sukzessive Sanktionen gegen die iranische Regierung, u.a. Einreiseverbote und das Einfrieren von in der EU vorhandenen Vermögenswerten. Nach den Hinrichtungen und der Lieferung iranischer Drohnen an Russland im Ukraine-Krieg, verschärfte die EU die Sanktionen gegen den Iran. Insgesamt stehen nun fast 100 Namen auf der Sanktionsliste. Im Dezember 2022 wurde der Iran aufgrund des brutalen Vorgehens gegen die Demonstrierenden aus einem UN-Gremium für Frauenrechte ausgeschlossen. Aktivist*innen fordern einen sofortigen Stopp der Zusammenarbeit mit dem iranischen Regime. Diese Forderungen sind nicht neu. Die NGO STOP THE BOMB fordert bereits seit 2008 einen Stopp jeglicher Geschäfte mit der iranischen Regierung. Dennoch ist Deutschland bis heute weiterhin Irans wichtigster Handelspartner in Europa.
Weltweite Proteste für die Freiheit seit 2022
Nach Jina Aminis Tod breitete sich die Protestwelle nicht nur im Iran, sondern weltweit aus. In vielen Ländern organisierten Menschen der iranischen Diaspora wöchentliche Demonstrationen, Kundgebungen, Kunstprojekte und Spendenaktionen. Im Metropolitan Museum of Art in New York organisierten Aktivist*innen von Woman Life Freedom NYC eine Perfomance, bei der sie in, mit Kunstblut beschmierten, weißen T-Shirts und Protestschildern auf dem Boden lagen. Der Eiffelturm in Paris wurde mit den Worten "femme, vie, liberté" (Frau, Leben, Freiheit) beleuchtet. Die bislang größte Demo für Frauenrechte im Iran weltweit fand mit rund 80.000 Demonstrierenden, die aus der ganzen Welt anreisten, in Berlin statt.
Am 20.02.2023 versammelten sich Menschen aus ganz Europa in Brüssel, um die Einordnung der Iranischen Revolutionsgarde (IRGC) als Terrororganisation zu fordern. Die Forderungen gehen über eine reine Abschaffung des Kopftuchzwangs hinaus. Die Demonstrierenden fordern schon lange ein Ende des islamischen Regimes.
In Israel, wo etwa 250,000 Menschen iranischer Herkunft leben, organisierten iranische Jüd*innen Demonstrationen in Solidarität mit den Protesten im Iran. Auch Politikerin Sharren Haskel der konservativen Partei Tikwa Chadascha bekundete bei einer Rede ihre Solidarität mit den Frauen im Iran und schnitt sich die Haare ab.
Die Proteste gehen weiter – auch in Deutschland
In ganz Deutschland werden immer wieder Demonstrationen und Kundgebungen organisiert, die auf Instagram-Seiten wie @iranprotestsgermany geteilt werden.
Das Unterschreiben der change.org Petition "Save Jamshid Sharmahd" initiiert vom IGFM unterstützt die Forderung der sofortigen Aufhebung des Todesurteils gegenüber dem Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd.
Soziale Medien sind für die Demonstrierenden im Iran ein wichtiges Medium für die Verbreitung von Informationen. Aus diesem Grund sperrt das Regime im ganzen Land immer wieder das Internet, sodass Aktivist*innen keine Videos von dem gewalttätigen Vorgehen gegenüber Demonstrierenden in den Sozialen Medien teilen können. Durch die Einrichtung von Snowflake im eigenen Browser können Menschen weltweit trotz Sperrungen, zensierten Webseiten und Anwendungen, das Internet nutzen.
Am 8. März 2023 sind wie jedes Jahr viele feministische Demonstrationen und Kundgebungen geplant. In Berlin findet eine Demo in Solidarität mit den Frauen im Iran statt, die von Woman*-Life-Freedom organisiert wird. Genaue Infos zur Uhrzeit und Treffpunkt der Demo folgen auf der Instagram-Seite @womanlifefreedomcollective
Auch auf der Berlinale 2023 war neben der Solidarität mit der Ukraine der Iran ein Thema. Der Film "Sieben Winter in Teheran" von Steffi Niederzoll erzählt die Geschichte "der 19-jährigen Reyhaneh Jabbari, die zum Tode verurteilt wurde, weil sie in Notwehr den Mann getötet hat, der versucht hat, sie zu vergewaltigen. Ihr Protest macht sie über die Landesgrenzen hinaus zu einem Symbol für Widerstand und den Kampf für die Rechte von Frauen." Gemeinsam mit Reyhanehs Mutter, Shole Pakravan, schrieb Steffi Niederzoll auch das Buch "Wie man ein Schmetterling wird. Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari", das am 26. Januar 2023 erschien. Eine Rezension des Films "Sieben Winter in Teheran" folgt auf AVIVA.
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Solidarität mit den Demonstrierenden im Iran nach dem Femizid an Jina Amini.
Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) fordert die Außenministerin zu schnellem Handeln auf. In einer Petition auf Change.org fordert eine in Deutschland lebende Exil-Perserin die Bundesregierung auf, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. AVIVA fordert dazu auf, die Petition zu unterschreiben. (2022)
Nasrin Amirsedghi - Die Stellung der Frau im Gottesstaat Iran
Im Rahmen der Internationalen Iran-Konferenz Anfang Mai 2008 in Berlin sprach die Publizistin Nasrin Amirsedghi über die Situation von Frauen unter der Herrschaft der Mullahs im Iran nach 1979. (2008)
Quellen:
Europäische Union verschärft Sanktionen (23.01.23)
Iran aus Frauenkommission ausgeschlossen (14.12.22)
Neue EU-Sanktionen gegen den Iran (14.11.22)
Iran: Anhaltende Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini (20.10.22)
Frau, Leben, Freiheit: Die Proteste in Iran und ihre Geschichte (17.10.22)
Die kurdische Frage als Klassenfrage (22.09.20)
Die stille Revolution (08.01.19)
Copyright Foto: Tara Mortazavi